Grußwort |
Written by Bao Quang | ||
* Grußwort an die vietnamesischen Freunde
ich freue mich über die Einladung zu diesem Frühlingsfest – es ist immer wieder schön hier in der Pagode zu sein! Ursprünglich sollte der Bezirksamtsleiter des Stadtbezirks Hamburg-Mitte, Herr Markus Schreiber, ein Grußwort sprechen – viele haben ihn als Ehrengast bei der Eröffnung der Pagode im August 2008 in bester Erinnerung. Da er leider wegen eines anderen, wichtigen Termins kurzfristig absagen musste, wurde dafür meine Wenigkeit gebeten, als Buddhist eines befreundeten Zentrums einer anderen Tradition ein paar Worte zu sprechen. Ich danke für diese Ehre und möchte die Gelegenheit nutzen um an ein Stück gemeinsamer Hamburgisch-Vietnamesischer Zeitgeschichte zu erinnern: Wie Vietnamesen in unserer schönen Stadt heimisch wurden. Die alte Handels- und Hansestadt Hamburg mit seinem großen Hafen gilt uns Deutschen traditionell als „Tor zur Welt“. Für viele Vietnamesen wurde es vor etwas mehr als 30 Jahren zum „Tor in eine neue Welt“, nämlich von Südostasien ins ferne Europa, zum Sprung in ein neues, ungewisses Leben. Vietnam hatte damals mehrere Jahrzehnte Krieg und Bürgerkrieg hinter sich. Ähnlich wie Deutschland war es nach dem Zweiten Weltkrieg geteilt worden. Während bei uns die innerdeutsche Grenze an Elbe, Harz und Thüringer Wald entlang verlief, war es in Vietnam der 17. nördliche Breitengrad, für mehrere Jahrzehnte den „Eisernen Vorhang“ zwischen dem kommunistischen Nordvietnam und dem westlich ausgerichteten Süden markierte. Vietnam wurde zu einem Schlachtfeld des „Kalten Krieges“: Während der Norden unter massiver Waffenhilfe Chinas und der Sowjetunion aufrüstete, griff die USA mit eigenem Militär ein – und stellte dabei mit ihrem rabiaten Vorgehen ihre eigentlich großen Werte in Frage. Die Welt verfolgte die blutige Auseinandersetzung aufmerksam. Ein Beispiel: Zwischen 1963 und 1972 wurde sechs Mal das internationale „Pressefoto des Jahres“ in Vietnam aufgenommen. Immer wieder war der Vietnamkrieg ein Auslöser für Studentenunruhen und Großdemonstrationen in der westlichen Welt. Inmitten der Unmenschlichkeit des Krieges kam damals aus Hamburg ein Zeichen der Hoffnung. Die „MS Helgoland“, ein früheres Ausflugsschiff, wurde im Auftrag der deutschen Bundesregierung zu einem schwimmenden Lazarett umgebaut und nach Südvietnam geschickt. Auf dem großen Boot, welches vorne am Bug, von weitem sichtbar, das Wappen Hamburgs trug, versorgten zwischen Herbst 1966 und Ende 1971 insgesamt 54 Ärzte und 160 Pflegekräfte über 210 000 Menschen, darunter 11 000 stationäre Patienten. [1] Im Frühjahr 1975 – die USA hatten ihre Truppen nach großen Verlusten längst zurückgezogen – fiel die Entscheidung: Die Armee Nordvietnams marschierte in den Süden ein und sollte wenige Wochen später Saigon, die Hauptstadt des Südens einnehmen. An dieser Stelle erlaube ich mir ausnahmsweise etwas persönlich zu werden: Ich war damals erst 10 Jahre alt – doch dramatische Fernehberichte, die ich sah, machten ausgerechnet die Endphase des Krieges im weit entfernten Vietnam zum ersten weltpolitischen Ereignis, das ich als Kind bewusst mitverfolgte. Auf einer großen Weltkarte an einer Wand bei uns zuhause, die von einer Folie bedeckt war, zeichnete ich mit einem Filzstift sogar den aktuellen Frontverlauf nach. Die Namen einiger Küstenstädte, die nacheinander eingekreist und erobert wurden, weiß ich noch heute: Hue, Da Nang, Quy Nhon, Nha Trang, Vung Tau. Drei Jahre später werden diese und andere Orte zum Ausgangspunkt für eine riesige Flüchtlingswelle. Vietnam ist inzwischen als Kommunistisches Land wiedervereinigt. Schwere Repressalien der neuen Machthaber richten sich insbesondere gegen Vietnamesen chinesischer Abstammung, gegen Mitarbeiter der früheren südvietnamesischen Regierung, Angehörige der Armee, so genannte „Kapitalisten“ sowie gegen ihre Familien. Vielen Menschen aus der Mittelklasse Vietnams wird ihr ganzer Besitz abgepresst – für ein paar Quadratdezimeter auf rostigen, heruntergekommenen und völlig überfülten Fischerbooten, die mit unbekanntem Ziel ins südchinesische Meer aufbrechen. Von insgesamt 1,5 Millionen Bootsflüchtlingen stirbt ca. ein Drittel durch Entkräftung, Wettereinflüsse oder Überfälle. Überlebende, die vor Malaysia, Thailand, Singapur den Phillippinen oder Honkong stranden, müssen feststellen, dass sie dort nicht willkommen sind. Teilweise werden sogar nicht mehr seetüchtige Schiffe aufs Meer zurückgeschleppt – und die Menschen an Bord ihrem Schicksal überlassen. Auf eigentlich unbewohnbaren Inseln drängen sich über Monate jeweils viele Tausend Vietnamesen unter völlig unwürdigen Bedingungen. Unter dem Eindruck der Bilder aus Südostasien erklärt sich Ende 1978 der damalige Ministerpräsident Niedersachsens, Ernst Albrecht, bereit 1000 Vietnamesen in seinem Bundesland aufzunehmen. Andere Politiker in Deutschland sind zunächst zurückhaltender. Journalisten der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT starten daraufhin eine private Intiative. Sie berichten im Juni 1979 hautnah von der hoffnungslos überfüllten Flüchtlingsinsel Pulau Bidong vor der Küste Malaysias und rufen zu Spenden auf. Die Reaktion ist überwältigend: Hamburger Bürger aus allen Schichten, vom reichen Geschäftsmann bis zum 14 jährigen Schuljungen, spenden zusammen innerhalb kurzer Zeit einen Millionenbetrag und ermöglichen so 275 Vietnamesen einen Neuanfang in der Hansestadt. [2] Von Hamburg aus bricht ungefähr zeitgleich der Journalist Rupert Neudeck mit seinem Schiff „Cap Anamur“ ins Südchinesische Meer auf und rettet im Laufe der nächsten Jahre über 11000 „boat people“, von denen die meisten in Deutschland unterkommen. Ein bemerkenswertes Detail in diesem Zusammenhang: Als im Juli 1982 die deutsche Regierung einen Aufnahmestopp verhängen will, sorgen öffentliche Proteste sowie eine neue Spendenwelle dafür, dass die Rettungsaktion fortgesetzt wird. [3] Heute leben über 120 000 Menschen vietnamesischer Herkunft in Deutschland: Vor allem frühere „Boat People“, Familienangehörige, die nachgeholt wurden, ehemalige DDR-Vertragsarbeiter, die nach der deutschen Wiedervereinigung bleiben konnten, und ihre jeweiligen Nachkommen. Die ZEIT-Journalistin Gabriele Venzky war 1979 an der großen Hilfsaktion zur Rettung von Vietnamesen aus Pulau Bidong beteiligt. 2009 schreibt sie anlässlich des 30jährigen Jubiläums der Ankunft der ersten Bootsflüchtlinge in Hamburg: „[Als sie kamen] hatte mancher geunkt: »Die werden noch in 50 Jahren nicht integriert sein.« Welch ein Irrtum! Fleißig und bescheiden haben sie sich in den vergangenen 30 Jahren hochgearbeitet, die meisten von ihnen leben heute im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung, Sozialhilfe ist für sie ein Unwort. Ihre Kinder triezen sie so lange, bis sie nur noch Einsen und Zweien nach Hause bringen, der Anteil der jungen Vietnamesen unter den Abiturienten ist höher als bei Deutschen. Diejenigen, die damals noch klein waren, und erst recht die nächste Generation sprechen akzentfrei Deutsch. Die Geschichte der Boatpeople ist eine Erfolgsstory.“ [4] Und man darf inzwischen ein weiteres Anzeichen für die gelungene Integration erwähnen: Der in Vietnam geborene Spitzenpolitiker Phillip Rösler, der gerade dabei ist – als erster Zuwanderer in der Bundesregierung überhaupt – deutscher Vizekanzler zu werden. (Wobei ich hiermit ausdrücklich keine Werbung für seine Partei mache!) Auch seine erste Station in Deutschland war übrigens Hamburg. Was mag das Geheimnis des Erfolgs der Vietnamesen in Deutschland sein? Es sind – neben den Tugenden ihrer Kultur – vor allem zwei Faktoren, die aus der eigenen Geschichte und teilweise harter Lebenserfahrung resultieren: a) Die Wertschätzung der Freiheit und b) Dankbarkeit. Hier in Hamburg stehen gleich zwei Denkmäler, die von Vietnamesen gestiftet wurden – eines auf dem Friedhof Öjendorf und eines nahe den Landungsbrücken, dort, von wo aus 1979 die „Cap Anamur“ zu ihrer Hilfsaktion startete. Mit diesen bedanken sich die Zuwanderer aus Vietnam beim Deutschen Volk und den Hamburger Bürgern für die Aufnahme und die hier gewährten Chancen. Die Denkmäler stehen dafür, was gelungene Integration ausmacht: Es geht nicht um die Erfüllung von Erwartungen, die man anderen gegenüber hätte oder um Forderungen, die man an die Deutschen erheben würde. Nein, die allermeistenVietnamesen suchten und entdeckten Möglichkeiten, nahmen ihr Schicksal selber in die Hand, arbeiteten hart für ihren Aufstieg und möchten nun der Aufnahmegesellschaft ihrerseits etwas zurückgeben und zum Allgemeinwohl beitragen. Von außen mögen die Kulturen der Vietnamesen und der Deutschen verschieden aussehen. Bei genauerem Hinsehen sind wir uns viel ähnlicher, als es scheint. Viele humantäre und ideelle Werte haben wir ohne jeden Zweifel gemeinsam. Die europäische Zivilisation ist geprägt durch Traditionen antiker Philosophie, christlich beeinflusste Ethik (Beispiel: Stellenwert der Menschenrechte), der Aufklärung, der kritischen Wissenschaften, der modernen, freiheitlichen Demokratie. Diese lassen sich wunderbar kombinieren mit der befreienden Lehre des Buddhismus, mit seinen großartigen Mitteln zur Kultivierung und Vervollkommnung des Geistes. Demensprechend genießt der Buddhismus im heutigen Deutschland allgemein ein hohes Ansehen. Viele Menschen, auch wenn sie selber nicht aktiv praktizierende Buddhisten sind, profitieren von der Lehre Buddhas und der Aktivität der Zentren, die sie repräsentieren. Als westlicher Buddhist einer anderen Stilrichtung bin ich sehr froh über unsere vietnamesischen Freunde. Auch wenn eure Pagode hier in einem Außenbezirk steht, wo ihr bei Zeremonien auch mal so richtig schön Krach machen könnt: Eigentlich könnte euer Tempel auch an der Alster, im Uni-Viertel oder nahe dem Bahnhof Altona stehen, denn ihr seid längst in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen. Für die buddhistische Szene in Deutschland sind die vietnamesischen Gemeinschaften ein großer Gewinn und engagieren sich über ihre Gemeinden hinaus. Ich darf in diesem Zusammenhang unter anderem erinnern an eine Reihe von Veranstaltungen in der Hannoveraner Pagode nahe dem Messegelände zur EXPO 2000, der von Vietnamesen organiserten, Reliquienausstellung im Hamburger Völkerkundmuseum im Sommer 2005 sowie mehrere Vesakhfeste in den Großen Wallanlagen, die wir gemeinsam gefeiert haben. Es ist immer schön, wenn man sich gegenseitig hilft, wenn z.B. unser Architekt Ronald Knaack die Verwandlung einer schichten Lagerhalle in eine schöne Pagode gegenüber der Baubehörde durchsetzen konnte oder einige starke Männer aus unserem Verein, dem Buddhistischen Zentrum der Karma Kagyü-Linie, mithalfen diese schöne Statue und andere Tonnenlasten in die Halle zu schleppen. (Eine Aktion, die übrigens viel Spaß gemacht hat!) Speziell bei der Hamburger Pagode Bao Quang fällt mir noch eine Sache besonders positiv auf, die ich hervorheben möchte. In vielen buddhistischen Ländern Asiens haben es die Frauen nicht immer leicht. Gesellschaftlich dominieren die Männer – meist auch in den Tempeln. Frauen, die die Nonnengelübde nehmen wollen, haben insbesondere in den Ländern des südlichen Buddhismus Schwierigkeiten eine intakte Ordinationslinie sowie gute Bedingungen für ihre Praxis zu finden. Ich persönlich finde es wunderbar, dass diese wichtige Gemeinde mit dir, Ehrwürdige Thich Nu Dieu Tam, von einer weisen Frau geführt wird. Eine Frau, die sanftmütige Autorität ausstrahlt und auf die die Männer hören! Und wenn ich es richtig mitbekommen habe, entwickeln sich die Schülerinnen exzellent, so dass auch die nächste Generation der Hamburger vietnamesischen Buddhisten von viel weiblicher Weisheit profitieren dürfte – gut so! Abschließend einige Anmerkungen, die ich der nächsten Generation der Vietnamstämmigen widmen möchte. Gelegentlich liest man kritische Berichte über die Herausforderungen der Jugendlichen mit Vietnam-Hintergrund: Dem Druck, in Schule und Ausbildung erfolgreich zu sein, die Eltern nicht zu enttäuschen und ihrem Schwanken zwischen der modernen deutschen Kultur einerseits und der vietnamesischen ihrer Vorfahren andererseits. Das ist nicht einfach. Jedes Mitglied einer neuen Generation macht einige Dinge anders als die Eltern; und doch hat es immer auch wichtige Traditionen gegeben, die weitergingen – nicht selten in einem anderen Stil, aber inhaltlich authentisch. Ich wünsche der jüngeren Generation, dass sie nie das Gefühl haben moge zwischen zwei Stühlen zu sitzen. Ihr habt zwei großartige Kulturen im Rücken, die sich nicht widersprechen brauchen. Es ist gewissermaßen ein Leben gespeist aus zwei Quellen; ihr könnt euch von beiden das Beste heraussuchen. Gleichzeitig wünsche ich der vietnamesischen Jugend ein bleibendes Selbstbewusstsein gegenüber ihren eigenen kulturellen Wurzeln. Es wäre schön, wenn auch in hundert Jahren die Deutsch-Vietnamesen noch die vietnamesische Sprache beherrschen und die Hamburger vietnamesische Pagode auf ähnliche Weise blühen wird wie die heutige! In diesem Sinne: Mögen alle Wesen glücklich sein! Danke für eure Aufmerksamkeit! Anmerkungen / Referenzen: [1] Max Riemann: „Ein weißes Schiff der Hoffnung“, veröffentlicht am 21.2.2008 auf „einestages“. Zeitgeschichten auf SPIEGEL Online. URL: http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/1355/das_weisse_schiff_der_hoffnung.html [2] Josef Joffe: „Stehplatz in der Hölle“, DIE ZEIT Nr. 28/1979. URL: http://www.zeit.de/1979/28/stehplatz-in-der-hoelle?page=all [3] http://de.wikipedia.org/wiki/Boat_People [4] Gabriele Venzky: Rettung aus der Hölle von Pulau Bidong, DIE ZEIT, Nr. 34/2009. URL: http://www.zeit.de/2009/34/D-Boat-People?page=all |
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Last Updated on Saturday, 14 January 2012 21:54 |